Predigten

Jubilate – Leben aus dem Neuen

Predigt am 3. Sonntag nach Ostern auf dem Hintergrund der Lesung Apg. 17,22-28; gehalten in der Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

Jubilate! Jubelt! Am dritten Sonntag nach Ostern werden wir eingeladen durch den Psalm in einen Jubel einzustimmen. Ostern bewirkt in uns die Hoffnung auf ein neues Leben. Der Tod hat nicht das letzte Wort, sondern auch für uns Menschen gilt ein Rhythmus von Werden und Vergehen, wie für alles Lebendige in der Natur. Ja, wir sind ein Teil dieser Natur, wir sind ein Teil der Schöpfung. Wir gehören dazu. Oh, wie tröstlich und ein Grund zum Jubeln.

Und doch ist es mit uns Menschen nicht ganz so einfach. Denn wir sind denkende Wesen, die wissen, dass sie sterben werden, die wissen, dass es Dinge gibt, die förderlich sind für das Leben und andere wieder nicht. Ja wir müssen als Menschen unseren Weg finden im ständigen Treffen unserer Entscheidungen. Da gelingt einiges und wir selbst und unser Umfeld können das Leben genießen. Und ein anderes Mal entscheiden wir und bereiten Menschen um uns Kummer, Sorge und Beschwernis. Und doch haben wir es gut gemeint. Wir haben abgewogen und versucht, das Richtige zum rechten Augenblick zu tun. Jedoch ist unser Leben mit seinen Zusammenhängen so komplex, dass es leider nicht immer so klar und einfach ist. Oft haben unsere Handlungen unterschiedliche Folgen – für den einen sind sie gut und für den anderen nicht so. Auf diesem Weg ist es nicht einfach, dann auch noch herauszufinden, wer wir selber eigentlich sind. Bei der Geburt haben wir ja nicht eine Beschreibung um dem Hals, auf der steht: Holger kann das und das. Er ist besonders gut bei den und den Dingen. Bei anderen müsst ihr ihn lieber schonen. Ja, so ist es nicht. Und so sind wir unser Leben lang dabei auf unserem Weg der Entscheidungen gleichzeitig herauszufinden, wer wir sind und was uns selber guttut. Ehrlich gesagt keine einfache Sache.

Meine Mutter meinte, immer zu wissen, was gut für mich ist, doch lag sie da sehr oft weit daneben, denn sie hatte mich nicht gefragt. Aber für sich selbst tappte sie erst recht ganz im Dunkeln. Oder sie wagte ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen nicht zu formulieren. Oft beobachte ich, dass Menschen wirklich lernen müssen, „ich“ zusagen und herausfinden, was zu ihnen gehört und was sie selber wirklich wollen. Dieses „Ich bin…“, dieses Selbst ist so wichtig, um in dieser Welt leben und bestehen zu können. Es ist wichtig, dass wir es im Gleichgewicht halten können. Gesundheit, Wohlbefinden und ein Gefühl von Glück hängen von ihm ab. In einem kapitalistischen System ist es wichtig, ein großes und starkes Ich zu haben, um bestehen zu können, um voranzukommen und im System eine Rolle von Bedeutung zu übernehmen. Das Finden des eigenen Ichs, die Stärkung der eigenen Qualitäten im Zusammenleben mit anderen Menschen, all das ist wie das Laufen-Lernen bei einem kleinen Kind. Es ist das Herausfinden, was alles geht und was möglich ist, welche Macht wir haben, wie sehr wir andere Menschen unterdrücken und verletzen können; aber auch wie sehr wir ihnen behilflich sein könne, wie sehr wir zum Gelingen von Leben beitragen können. Und ich verrate ihnen, dass wir bei unseren Versuchen die Möglichkeiten des Selbst zu entdecken nur kleine Bereiche berühren. Da gibt es noch ganz andere Potentiale im Förderlichen und Vernichtenden, über die wir überrascht sind, wenn sie bei anderen sichtbar werden.

Liebe Gemeinde, das Herausfinden des eigenen Selbst ist jedoch ein erster Schritt. Der heutige Wochenspruch aus dem 2.Kor. 5,17: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ – ist eine Einladung weiter zu denken. Als Menschen sind wir Geschöpfe dieser Erde. Doch wir verlieren auf unserem Weg der Entscheidungen den Blick für diese Teilhabe. Das Erlernen und Herausfinden, wer wir selbst sind, haben viele Menschen in eine Separierung geführt, dass sie sich getrennt von allem fühlen und allein. Selbst menschliche Gemeinschaft ist für manche nicht so einfach zu leben. Und so wird das Single-Dasein zu einem großen Gut und das Zusammenkommen bei Partys zu den großen Events.

Die Auferstehung enthält eine Botschaft, die über diese Perspektive des Selbst hinausreicht. Wir Menschen sind ein Teil der Schöpfung und wir bleiben es auch. Die Luft die wir atmen, die Atome, aus denen wir sind, die waren vor uns schon und werden auch nach uns bleiben. Wir sind auf dieser Ebene verbunden von Anbeginn und für alle Zeiten. Da mir das zu groß ist zu denken, nenne ich dies die göttliche Ebene. In Gott sind wir verbunden mit allem und über alle Zeiten hinweg. Ganz praktisch heißt das, dass Pflanzen, Tiere und Menschen nicht nur unsere Geschwister sind, sondern sie sind so gar ein Teil von uns. Wir sind eins. Der Einsatz für die Natur ist nicht ein zusätzliches Programm, das wir zum Erhalt von Tieren und Pflanzen machen müssen, damit es denen gut geht, sondern es geht um uns selbst. Denn sie sind wir und wir sind sie. Es geht um selbsterhalten.

Das Verstehen von Ostern lädt uns ein, dass unser Selbst wachsen darf. Joanna Macy nennt es das „Grünende Selbst“. In Christus sind wir eine neue Kreatur. Oder besser gesagt, in Christus sehen wir, welcher Natur wir wirklich sind. Und wenn wir uns in dieser Sichtweise üben, dann werden wir merken, dass es viele Menschen auf dieser Welt gibt, die in der Verbundenheit zu allen lebenden Wesen leben, diese achten, ihnen keinen Schmerz und keine Angst bereiten wollen und für ihre Zukunft sorgen. Und es werden immer mehr.

In unserer Gemeinde finden gerade überall Gespräche statt, wie wir diesem Bewusstwerden immer mehr Geltung verschaffen können. Denn es geht ja um ganz praktische Fragen: Was esse ich? Womit putze ich meine Wohnung oder das Gemeindehaus? Sind die Fenster dicht oder heize ich für draußen? Brauche ich bestimmt Dinge meines Lebens wirklich oder hat sich der Luxus überlebt? Stellen wir diese Fragen und beginnen wir gemeinsam, bewusster wahrzunehmen, was wir alles machen und was unser Verhalten in der Welt bewirkt. Dabei geht es nicht um eine Bewertung und auch nicht um einen Wettbewerb, wer der Tollste und Beste ist, sondern es geht um die Verantwortung, die wir annehmen aus der liebenden Fürsorge für unser Leben und für diese Welt. Lassen wir unser Selbst wachsen und grünen, damit diese Welt ein Ort des Lebens für alle bleiben kann.

Liebe Gemeinde, ich möchte sie aber noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. In unserem Kirchenkreis ist das Bewusstsein gewachsen, dass Gewalt untereinander kein Weg ist, die Botschaft von Ostern zu leben. Die Verbundenheit gilt eben nicht nur mit Pflanzen und Tieren, sondern auch mit anderen Menschen. Das gilt als erstes für alle Menschen, die auf unsere Unterstützung und Fürsorge angewiesen sind. Aber es gilt auch für unser Verhalten unter einander. Gewalt hat verschiedene Gesichter. Die körperlichen Übergriffe sind die sichtbarste Form. Aber Gewalt kann auch durch Worte oder Gesten geschehen, in dem wir andere Menschen beleidigen, ausgrenzen oder ihnen ihren Platz zum Leben streitig machen. Und da alle Worte schon in unserem Denken ihre Wirklichkeit gefunden haben, beginnt Gewalt eben schon dort. Es reicht nicht freundlich zu handeln, denn jede Tat hat ihren Ursprung in den Gedanken. Und so sind wir durch Ostern eben auch eingeladen zu überprüfen, welche Gedanken grenzen andere aus, welche Gedanken beleidigen, welche Gedanken, schränken die Würde eines anderen ein. Und wir sind aufgefordert, ganz ehrlich zu sein. Denn auch hier geht es nicht um die anderen, sondern jede Form von Gewalt ist eben eine Form von Gewalt gegen uns selbst. Entwickeln wir ein zusammenleben, wo wir uns gegenseitig auf diese Aspekte aufmerksam machen können und üben, gewaltfrei zu leben. Lassen wir unser Selbst wachsen, grünen und in Frieden entspannt sein, so dass diese Welt ein Ort des friedlichen Lebens wird und bleiben kann.

Liebe Gemeinde, wir sind heute aufgefordert zu jubeln. Ich muss ihnen sagen, dass ich über diese Entwicklungen, die überall in unserer Gemeinde, in unserer Gesellschaft und überall auf der Welt geschehen, einfach entzückt bin. Überall fangen Menschen an zu verstehen, dass unser bisheriges Denken nicht ausreicht. Wir sind nicht allein. Wir dürfen lernen, als eine „neue Kreatur“ in Verbundenheit mit allem zu denken und zu handeln. Und ich bin froh, dass ich ein Teil dieser Veränderungen sein darf und an ihnen mitdenken und mittun kann.

Welch´ ein Grund zum Jubeln.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.