4. Advent – Lieder der Hoffnung
Predigt in der Pauluskirche in Berlin -Zehlendorf gehalten am 22.Dezember 2024
Lesungen: 1.Samuel 2,1-8 und Lukas 1,39-56
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde,
am 4.Advent, also dem Sonntag vor dem Weihnachtsfest steht Maria und ihre Geschichte im Mittelpunkt. Und mit ihr möchte ich heute noch eine zweite Frau ins Licht rücken – es ist Hanna. Sie hat ca. 1000 Jahre vor Maria gelebt und ihre Geschichte ist bei weitem nicht so bekannt wie die der Maria. Hanna war eine Frau, die den Vorstellungen der damaligen Zeit nicht entsprach. Sie war zwar die Lieblingsfrau ihres Ehemannes, Elkana, aber sie hatte keine Kinder und darum auch kein Ansehen in der Familie und in der damaligen Gesellschaft. Ihre Sehnsucht dazu zu gehören, oder auch ein Zeichen der Verbundenheit Gottes zu spüren, bewogen sie, im Tempel unablässig zu beten, damit Gott ihr Leben veränderte. Und ihr Gebet wurde erhöht. Sie gebar Samuel. Sein Name bedeutet „von Gott erbeten“ und als er entwöhnt war – vermutlich im 4. oder 5. Lebensjahr brachte Hanna ihn in den Tempel, damit er Priester wird. Sie brachte Gott den Jungen zurück und sang dann dieses Lied, das wir vorhin gehört haben.
Mit den ersten Worten wird deutlich, dass sie ihre Freude, ihren Stolz, aber auch ihre Kraft in Gott sieht. Das Lob Gottes steht an erster Stelle. Aber es wird auch deutlich, dass sie nach der Geburt in der Lage war, sich zu wehren, die Lästerer in die Schranken zu weisen, sich stark zu fühlen. Die Zeit der Ohnmacht und der Trübsal war vorbei. Mutig klingen ihre Worte und die Bilder ihrer Hoffnung. Die Regeln und Ordnungen der Menschen können geändert werden, ja sie können ins Gegenteil gekehrt werden. Das ganze Leben vom Beginn bis zum Tod und darüber hinaus, sieht sie bei Gott. So singt sie: „Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder hinauf.“ (V.6) Wenn wir genau hinschauen, dann können wir in ihren Worten das Leid heraushören, das sie gespürt hat. In der Asche der Armen lag sie, erniedrigt und ohne Ehre, mit Hunger und verzweifelt an ihrem Körper. Eine Frau ohne Kind lebte damals am Rande der Gesellschaft.
Und dann haben wir das Lieder einer zweiten Frau gehört – von Maria. Sie singt mit ähnlichen Worten und benutzt ähnliche Bilder wie Hanna. Beide Frauen sind sich in ihrem Leid sehr nah und doch sind ihre Situationen völlig unterschiedlich. Maria ist sehr jung – vielleicht 12 oder 13 Jahre alt. Und sie erwartet ein Kind. Die Bibel verschweigt uns die Umstände ihrer Schwangerschaft und gibt Antworten aus dem Glauben, die nicht die Ursache beschreiben, sondern schon aus der Lösung heraus formuliert sind. Denn als unverheiratete Frau wurde sie aus der Gemeinschaft der Glaubenden ihres Ortes ausgeschlossen und ihr Leben war unter den religiösen Gesetzen der damaligen Zeit durch Steinigung bedroht. Bevor Maria zu ihrer Cousine Elisabeth geht, erzählt uns der Schreiber des Lukasevangeliums von einem Engel, der zu Maria kommt und ihr den Glauben an ihr Kind, das der Messias werden kann – wie jede jüdische Mutters es glaubte und glaubt – zurückgegeben. Gleichzeitig findet sie ihren Glauben an sich selbst und an das Leben zurück. Möglicherweise gehörte die Idee der Flucht und die Heirat mit Josef zu dem Rettungsplan, den der Engel ihr mitteilte. Niemand durfte davon wissen und so wird nach der Erzählung Elisabeth die einzige Person, der sich Maria anvertraut und in deren Gegenwart sie ihre neu aufgekommene Hoffnung heraussingt. Maria und Hanna sind sich ganz nah in ihrem Glauben, denn für beide war Gott der Grund all dieser Veränderung. Das Handeln der Menschen tritt zurück, es ist nahezu bedeutungslos. Und Maria besingt aus der in ihrem Leben vollzogenen Veränderung eine Hoffnung, die für die ganze Gemeinschaft bedeutungsvoll werden kann. Die Macht der Mächtigen wird ausgeglichen werden, Hungrige werden satt, Barmherzigkeit wird der Maßstab des Zusammenlebens und die Versprechen an die Vorfahren werden sich erfüllen. Ihre Erfahrungen bringen sie dazu, dass sie ihre ganze Welt und die Zukunft anders sehen können.
Liebe Gemeinde, neben der Schönheit der Bilder erscheint für mich in diesen Erzählungen auch eine große Herausforderung. Die beiden Frauen fordern uns auf, genauer hinzuschauen. Auf den ersten Blick nimmt man ihr Schicksal gar nicht wahr. Wenig schimmert vom Leben Marias durch die Worte, die uns so vertraut erscheinen. Alle Jahre wieder hören wir die Geschichten, ohne hinzuhören? Die Worte dieser besonderen Geschichten fließen an uns vorbei. Wie ist es dann mit den Menschen um uns herum, mit ihren Worten? Wieviel von den Zusammenhängen des Lebens scheint zwischen den Worten unserer Mitmenschen durch? Was hören wir nicht alles für Oberflächlichkeiten und Abwehrendes auf die Frage: Wie geht es dir? Oder wollen wir vielleicht gar keine Antwort hören auf unsere Frage? Genau hinschauen bedeutet, wahrzunehmen, was gerade ist. Es bedeutet, dem Leben in die Augen zu schauen mit allem, was an Schönem und weniger Schönem gerade da ist. Wir haben uns angewöhnt, lieber die großartigen Dinge und Zusammenhänge wahrzunehmen, so als würde das Schwierige nicht da sein, wenn wir es ignorieren. Im Glauben reden manche auch von einer anderen Macht, wie dem Bösen, dem Teufel oder dem Schicksal, als gäbe es eine Welt, mit der Gott nichts zu tun hätte.
Im Glauben der Bibel gehört jedoch alles vor Gott zusammen. Eine Trennung ist nicht möglich. Auch die Seiten des Menschen, die wir lieber verurteilen, da sie gegen die Regeln des Zusammenlebens verstoßen oder all das, was wir lieber im Verhalten der Menschen verurteilen, es gehört zu uns und da wir von Gott geschaffen sind, gehört es auch zu Gott. Gerade angesichts der aktuellen Ereignisse rebelliert unser Verstand und doch ist es wichtig, dass wir genau hinschauen und nicht schon vorher urteilen; genau hinschauen, um verstehen zu können; genau hinschauen, um die Zukunft anders gestalten zu können.
Liebe Gemeinde, die beiden Frauen- Hanna und Maria – haben menschliches Zusammenleben erlebt, unter dem sie gelitten haben, das sie ausgesondert und bedroht hat. Doch ihr Vertrauen auf Gott hat ihnen eine andere Perspektive gegeben, ja es hat ein anderes Leben möglich gemacht.
Wenn ich heute über Weihnachten nachdenke, dann bleibe ich oft bei diesen Bildern hängen, die so ganz anders sind als unsere Welt. Ein Kind in Armut geboren auf der Flucht, wird zur Hoffnung für viele Menschen. Hirten, die als Abschaum der Gesellschaft galten, erfahren, wo die Hoffnung für die Zukunft zu finden ist. Frauen, deren Aussage nicht rechtsgültig war vor Gericht, werden Zeugen einer weltverändernden Geschichte und gestalten diese aktiv mit. Die Geschichte von Weihnachten kann unser Denken und Handeln tiefgreifend verändern, wenn wir genau hinschauen.
Und so sind wir aufgefordert auch in unserem Alltag diese Spuren der Gegenwart des Lebens mit allen Seiten, die Spuren des Göttlichen zu finden. Beginnen wir, die Augen zu öffnen, damit wir sehen, was ist. Beginnen wir unser Vertrauen auf diesen einen Gott zu schulen, damit wir nicht zurückschrecken vor den schwierigen Zusammenhängen unseres Lebens und unserer Zeit. In Gott gehört alles zusammen, auch wenn unser Verstand sich dagegen wehrte. Lassen wir uns von den Geschichten der glaubenden Menschen in der Bibel – Maria und Hanna – anregen, damit wir Hoffnungsbilder für unsere Zeit malen können und Lieder der Zuversicht singen, die auch unsere Kinder und Enkel noch voranschreiten lassen. Weihnachten will Licht in unsere Dunkelheit bringen. Lassen wir es zu, damit wir auch sehen, was Licht für uns ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.