Predigten

Jubilate – Schöpfergeist

Gottesdienst gehalten am 30.April 2023 in Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf

Lesungen: 1.Mo. 1,1-2,2; Joh. 3,1-6

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

Jubilate! Jubelt, so lädt uns der heutige Psalm ein und gibt damit auch dem Sonntag seinen Namen. Manch einer wird sich fragen, worüber soll ich jubeln? Die wirtschaftliche Lage in unserem Land ist angespannt. Bei einigen reicht das Geld zum Leben nur knapp oder gar nicht. Sorgen um die Umwelt werden uns immer drängender vor Augen geführt durch die Proteste auf der Straße. Und gleichzeitig wächst der Frust über die Nötigungen, die manche empfinden. Und dann sehen wir die Bilder des Kriegs in der Ukraine im Fernsehen, die Raketen, die Wohnhäuser zerstören, sinnloses Leid. Wir sehen Menschen auf der Flucht und das nun nicht mehr nur aus der Ukraine. Auch im Sudan haben sich Mächtige in Kämpfe um die Vorherrschaft im Land in Gewalt verstrickt und nehmen die Bevölkerung für ihre Interessen in Geiselhaft. China spielt auf dem diplomatischen Parkett ein gefährliches Spiel im Nebel und in Taiwan wappnen sich die Menschen gegen eine Invasion.

Liebe Gemeinde, ich könnte hier wahrscheinlich diese Aufzählung noch sehr lange fortsetzen. Wenn wir uns dies alles klarmachen, dann könnten wir sagen, es gibt keinen Grund zum Jubeln. Überall werden die Melodien der Angst gespielt und viele lassen sich davon beeinflussen und singen mit.

Als Christen haben wir durch Osten gelernt, dass das Leben auch aus einer Perspektive betrachtet werden kann. Leben wir doch aus der Zusage, dass Gottes Gegenwart über den Tod hinausreicht und das Leben in seiner Gegenwart bestätigt und erhält. Auferstehung ist die Hoffnung auf ein Weiter, auf einen größeren Zusammenhang, die Hoffnung auf eine andere Möglichkeit.

Und so möchte ich ihnen die Lesungen dieses Sonntags in Erinnerung rufen. Wir hörten als Evangelium eine Erzählung über ein Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus. Beide waren Gelehrte der Heiligen Schriften, der Torah gewesen. Sie suchten in dem alten, weisen Wissen nach Wegen in die Zukunft. Sie treffen sich nachts – ein bemerkenswerter Zustand, denn es wirkt fast so, als wäre es ihnen sonst nicht möglich gewesen. Ja, auch damals war das Leben sehr schwierig, denn die Besatzung der Römer schränkte den Alltag der Menschen stark ein. Nikodemus hatte in der Öffentlichkeit als Vertreter des Judentums in Jerusalem eine andere Rolle, als er in diesem Zusammenhang zeigen kann. Er ist Jesus sehr nahe, was vor allem auch nach der Kreuzigung von großer Bedeutung war. Beide sind als Lehrende und Weisheitsuchende sehr eng miteinander verbunden. Nikodemus sieht in Jesus eine besondere Persönlichkeit, die in ungewöhnlicherweise mit dem Göttlichen verbunden ist. Doch schon seine erste Aussage veranlasste Jesus, ihn zu korrigieren. Jedem ist es möglich, das Reich Gottes zu sehen und aus ihm zu leben, wenn er aus dem Geist geboren ist. Im Hebräischen heißt Geist „Ruach“ und meint eine lebendige Gegenwart, lebendige Durchdringung. Möglicherweise auch so etwas wie die Grundidee, die hinter allem steht. Ruach ist mit Gott verbunden und zieht den Geist, wenn wir ihn als Verstand und Bewusstsein verstehen, auf eine andere Ebene. Vielleicht einfach übersetzt, könnten wir sagen: Aus dem Geist geboren zu sein, meint das Leben und die Welt aus der Perspektive Gottes wahrnehmen zu lernen. Und damit eröffnet sich eine andere Welt, die Jesus mit seinem Handeln vorgelebt hat.

Liebe Gemeinde, die Ruach spielt aber auch in der zweiten Erzählung von heute eine entscheidende Rolle. Als 1.Lesung hörten wir Verse aus der Schöpfungsgeschichte, diese wunderbare Erzählung von dem Zusammenhang der Welt und seinem göttlichen Ursprung. Wir hörten, im Anfang war ein Chaos, ein Tohuwabohu, so heißt es im Hebräischen. Und der Geist Gottes, die Ruach schwebte darüber, über dem Wasser. Und dann sprach Gott: Es werde Licht! Und es ward Licht. Das Licht erhellt alles, damit Ordnung entstehen kann. Und so nimmt alles seinen Lauf, in dem Gott mit seinem Reden, den Impuls zum Werden gibt. Die Dunkelheit wird unterschieden vom Licht, eine Feste als Himmelgewölbe erstellt und die Wasser gesammelt, damit das Land sichtbar wird. Gott fordert die Erde auf, Pflanzen hervorzubringen. Und eine Ordnung entsteht, die sich selbst reproduziert, unabhängig und vielfältig – jedes nach seiner Art, so heißt es im Text. Am 4.Tag bringen die Gestirne das Werden und Vergehen in einen Rhythmus und die Zeit wird spürbar. Tiere kommen dazu und es wimmelt das Leben im Wasser, in der Luft, auf der Erde und im Boden. Vielfalt, ein Zusammenspiel in großartiger Art und Weise wird uns hier geschildert. Und am 6. Tag heißt es dann: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei. … Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Und er schuf sie als Männlich und Weiblich. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan …

Der siebente Tag diente dann zum Vollenden, zum wohlwollenden Umhüllen und Bewahren und dann natürlich zur Ruhe. Frei haben, entspannen, das Geschaffte bewundern, sich daran freuen und Kraft sammeln für neue Taten.

Liebe Gemeinde, ich weiß nicht welche Gedanken ihnen so durch den Kopf gegangen sind, als ich diese Kurzzusammenfassung erzählt habe.

Was heißt es eigentlich, aus dem Geist geboren zu sein? Ist es wirklich so abstrakt oder meint es nicht etwas sehr Lebensnahes und Weltzugewandtes? Wenn alles so wunderbar funktionierte in der Welt, was haben wir bloß mit ihr gemacht? Wo ist die Vielfalt geblieben? Warum stören wir diese ganzen Prozesse durch unser Eingreifen? Haben wir vielleicht nicht wirklich verstanden, was es heißt als Ebenbilder Gottes zu leben? Liegt vielleicht ein Missverständnis vor, wenn wir uns die Welt untertan machen und beherrschen? Ist das wirklich gemeint, dass wenige über viele die Macht haben? Und dann sind da Männliches und Weibliches am Anfang. Die Vereinigung der Gegensätze können eine Ebenbildlichkeit Gottes ergeben. Welche herausfordernde Aussage ist das, die unser Zusammenleben in ein ganz anderes Licht rückt?

Liebe Gemeinde, es fasziniert mich immer wieder neu, wie diese alten Weisheitstexte unsere Sichtweise und unser Leben in Frage stellen. Darüber hinaus können sie aber auch Impulse geben für ein anderes Handeln in der heutigen Zeit. Wenn wir nach Antworten, nach Wegen im Umgang mit dieser Welt suchen, dann sollten wir uns als erstes klarmachen, dass alles ohne uns Menschen wunderbar funktioniert. Das ist eine wichtige Perspektive, dann sie macht uns klar, dass wir möglicherweise an vielen Stellen zu sehr eingreifen und den natürlichen Lauf einfach mehr zu lassen sollten. Alles darf leben nach seiner Art, so sagt es die Bibel. Wie schön wäre es, wenn wir diese Gelassenheit hätten, um vieles im Leben sein zu lassen, wie es ist, ohne unser Urteil dazu abzugeben. Schön wäre es, wenn wir lernen würden, uns als Teil des Ganzen zu verstehen. Wir gehören zur Schöpfung sind ein Teil von ihr und dürfen ihr dienen mit all unseren wunderbaren Möglichkeiten. Herrschaft ist Dienst und hat alle und alles im Blick, damit das Wohl für alle gelingen kann.

Aber auch im Hinblick auf unser Zusammenleben gibt es wichtige Impulse. Auch wir Menschen leben jede und jeder nach seiner Art. Wir sind einzigartige Wesen und dürfen füreinander Hochachtung und Bewunderung haben. In uns dürfen sich die Gegensätze verbinden und somit eine Idee bilden von dem, was Gottebenbildlichkeit heißen könnte. Und so kann eine Gemeinschaft entstehen, die aus Wertschätzung und Förderung heraus lebt und somit dem Schöpfergeist viel Raum lässt.

Uns ist zugesagt, dass wir aus dem Geist Gottes geboren, erleben und erfahren werden, was das Reich Gottes auf Erden ist. Wie wir nach all den Ideen gemerkt haben, ist es eine Entdeckungsreise, auf der nicht mehr alles so bleibt, wie es einmal war. Unser Denken darf sich verändern, aber auch unser Sehen und unser Handeln. Und so sind wir eingeladen unser Bewusstsein zu erweitern, die Welt als Ganzes im Blick zu bekommen und unser Leben aus dieser Erkenntnis heraus zu gestalten. Ein neuer Weg, ein Weg, in der Verbindung mit dem Geist Gottes, der Ruach, der Grundidee alles Werdens. Mögen wir den Mut haben, diese Art des Lebens einfach zu zulassen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen