Predigten

Predigt am 12. Sonntag noch Trinitatis – Wandlung

Predigt gehalten in der Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf am 18. August 2024 zu Jes. 29,17-24 und Lk. 13,10-17

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

sie kennen sicher die drei Affen, die nebeneinandersitzen. Der eine hält sich die Ohren zu, der andere hat die Hände vor den Augen und der nächste die Hände vor den Mund. Manchmal fühle ich mich wie diese drei Affen zusammen: Ich möchte nichts hören, nichts sehen und schon gar nicht dazu irgendetwas sagen. Unsere Zeit ist in ihren Phänomenen oft so komplex, dass es ausgesprochen schwierig ist, die Zusammenhänge zu erkennen, das Wahre zwischen den vielen Worten zu hören und das rechte Wort am rechten Ort zu sagen. Am besten ist es, man macht es wie die drei Affen. 

Die Worte aus dem Propheten Jesaja, die wir als 1. Lesung hörten, haben einen Wandel beschrieben. Und als ich die Worte las und jetzt auch wieder hörte, dachte ich: Ja, ein solcher Wandel, eine solche Veränderung, das wäre toll. Die Tyrannen werden keine Macht mehr haben, Taube werden hören und Blinde sehen können. Die Traurigen werden Freude empfinden. Es wird Gerechtigkeit herrschen unter den Menschen. Das Recht wird nicht mehr mit Füssen getreten werden. Die geistige Verwirrung wird ein Ende haben. Es wird ein Zusammenleben des Lernens herrschen.

Schauen wir auf die Zeit, in der der Prophet Jesaja lebte, dann ist es kühn, dass er von einem Wandel spricht. Im Jahre 701 v.Chr. lagern die Armeen der Assyrer vor Jerusalem. Sie konnten die Stadt nicht einnehme, denn sie mussten aus einem unbekannten Grund abziehen. Aber sie haben das nördliche Königreich Israel zerstört und die Menschen in die Gefangenschaft nach Assyrien geführt. Was unter König David ein ansehnliches Königreich war, ist 300 Jahre später nur noch ein kleiner Staat um Jerusalem herum, in der judäischen Wüste. Träume und Visionen von einer Zukunft der Eigenständigkeit und der Selbstbehauptung sind dahin. Und doch kommt da einer wie Jesaja und spricht von einem Wandel, von Veränderung. Ich glaube, viele in seiner Zeit hätten sich lieber die Ohren und die Augen zugehalten. Einer, der redete wie Jesaja, musste dann auch fliehen vor den Mächtigen. In seinem Traum ging es nämlich auch darum, dass es einen anderen König geben sollte, der diesen Frieden und die Gerechtigkeit für Israel bringen soll – ein sogenannter Messias. Er wird das Reich Gottes auf der Erde errichten und damit einen Wandel für die Menschen bringen. 

Liebe Gemeinde, wenn wir eine solche Vision heute hören, dann entstehen bei uns ganz andere Bilder. Wir leben in einer Demokratie. Die Heilsversprechen einzelner, die die Welt besser machen wollen, haben in unseren Ohren einen gefährlichen Klang. Hat uns die Geschichte doch gelehrt, dass solche Führer leicht Verführer sein können.

Eine solche Erfahrung macht deutlich, dass wir in der Vision des Jesaja anderes entdecken sollten.

Jesus lehrte, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist unter uns Menschen. Und Martin Luther ergänzte 1500 Jahre später, dass es angebrochen ist und gleichzeitig im Entstehen bleibt. Das Reich Gottes ist also eine Möglichkeit, die jetzt schon in diesem Augenblick besteht, aber auch noch zu ihrer vollen Entfaltung kommen wird. Wenn das so ist, dann gilt es doch die Vision des Jesaja jetzt zu ergreifen, um an ihrer Vervollkommnung mitzuwirken.

Nicht mehr die Hände vor die Ohren halten! Hören wir hin, welchen Klang es in der Welt gibt – die Misstöne und die Harmonien. Und lassen wir uns diesen Klang zu Herzen gehen, damit er uns berührt und bewegt.

Hände weg von den Augen und schauen wir in die Welt und sehen die Szenen von Freude und Schmerz, freundlichem Miteinander und Krieg. Lassen wir uns die Bilder zu Herzen gehen, damit sie uns berühren und bewegen.

Und nehmen wir die Hände weg vom Mund und reden wir über das, was wir wahrnehmen. Reden wir mit Worten, die aus der Berührung des Herzens kommen und die Welt in einen heilsamen Ort wandeln wollen. Worte können so viel bewirken, wenn sie nicht nur ein endloses Geplapper sind und in Depression versinken.

Eine der tollsten Versprechen, die Jesaja formuliert, ist diese: „Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“ Ich merke, wie ich aufatme bei diesen Worten. Sie tuen mir gut in einer Zeit, in der die Verwirrung des Verstandes ein Hauptmerkmal ist. Es ist also möglich und das Hoffen ist nicht vergeblich.

Liebe Gemeinde, aber es ist ein langer Weg dort hin und es gilt nun aus der Berührung des Herzens Schritte zu gehen, die in eine Zukunft des Reich Gottes weisen können. Dazu möchte ich sie an die Worte des Evangelisten Lukas erinnern. Lukas berichtet von einer Frau, die seit 18 Jahren von einem bösen Geist niedergedrückt wird, so dass sie gekrümmt durch die Welt geht. Was ist mit dieser Frau? In der antiken Welt hat man jede Krankheit, die man nicht kannte, auf einen bösen Geist zurückgeführt. Ein böser Geist hatte sie ergriffen und somit ihr Leben eingeschränkt. Was kann mit ihr geschehen sein? Wir müssen uns deutlich machen, dass die Römer zur Zeit Jesu Besatzungsmacht in Israel waren. Ihre Herrschaft war willkürlich und brutal. In den Evangelien kommen immer wieder Andeutungen vor, die auf Gewalt hinweisen. Um zu verstehen, was diese Frau hatte, fragen wir uns am besten selbst: Was würde uns niederdrücken, dass wir mit gebeugten Rücken durch die Welt laufen? Wäre es die Trauer um liebe Menschen, die dieser Herrschaft zum Opfer gefallen sind? Wäre es der Verlust des Zuhauses, der Möglichkeit eines sicheren Lebens? Wäre es die Gewalterfahrung am eigenen Leib? Jesus berührt diese Frau und durch diese Nähe kann sie sich aufrichten. Die Kraft des sogenannten Geistes ist gebrochen. Sie richtet sich auf. Das Ganze geschieht auch noch am Sabbat, dem Tag der Ruhe, an dem Arbeit verboten ist.

Liebe Gemeinde, es freut mich zu sehen, dass Jesus offene Augen und offene Ohren hat, um sich berühren zu lassen und um zu heilen. Sicher es gibt Regeln – gute Regeln, die ihm das eigentlich untersagen. Der Schabbat ist eine wunderbare und heilsame Einrichtung.  Aber Jesus entschied sich in diesem Augenblick für das Leben der Frau, für ihr Wohlergehen, für ihre Freiheit.

Diese Szene hat mich nachdenklich gemacht. Hier tritt ein Mensch mit seiner Not und mit seinem Leben in den Mittelpunkt und steht über den gesellschaftlichen Normen. Nicht das Glaubenssystem ist das wichtige, sondern der Mensch. Und gleichzeitig entsteht die Frage an uns: Wie gehen wir eigentlich mit dem Verhältnis gesellschaftlicher Systeme und dem Leben jedes einzelnen Menschen um?

In der Schule werden Fächer unterrichtet und nicht Schüler*innen. Wo bleiben die einzelnen jungen Menschen, die sich entwickeln und ihren Weg ins Leben finden wollen und müssen?

Im Jobcenter werden Arbeitslose verwaltet, um sie in den Arbeitsmarkt zu integriert. Wo bleiben die Menschen, die auf ihrem Weg enttäuscht oder auch getäuscht wurden, die orientierungslos sind und aus der Bahn geworfen wurden?

In den Aufnahmecentern für Geflüchtete werden Geduldete, Asylbewerber und Abzuschiebende verwahrt. Wo bleiben die Menschen, die ihre Heimat verloren haben, traumatisiert sind und in einem fremden Land ganz neu beginnen müssen?

 Ich habe ihnen drei markante Systeme benannte, die ständig im Gespräch sind und deren Effektivität verbessert werden muss, damit die Mehrheitsgesellschaft unberührt weiter funktionieren kann. Aber ist das denn überhaupt möglich? Ist hier nicht längst ein Wandel notwendig? Und wenn ja, dann ist die Frage in welche Richtung.

Aus der Lukasgeschichte können wir entnehmen, dass Jesus sich um den einzelnen Menschen gekümmert hat, ihn in den Blick nahm und ihn zum Leben aufrichtete. Die Regeln des Systems sind notwendig und wichtig, doch ist immer die Frage: Für wen sind diese Regeln da? Geht es um die Menschen? Geht es um die Zukunft der einzelnen Menschen? Geht es um das Leben und einen erfüllten Weg?

Das Reich Gottes ist jetzt unter uns angebrochen. Öffnen wir die Augen und die Ohren! Lassen wir uns in unsrem Herzen berühren, damit wir Worte des Lebens sprechen können, die andere aufrichten, die Leben ermöglichen und eine Zukunft für alle im Blick haben.

Die Vision eines Jesaja beginnt jetzt, hier in diesem Augenblick mit unserer Entscheidung. Sie nimmt den einzelnen in den Blick und richtet auf, damit Leben möglich sein kann. Und sie hilft Lebensraum zu schaffen, aus der Enge in die Freiheit.

Dazu schenke uns Gott seinen Leben spendenden Geist. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.