Wege der Hoffnung
Predigt am 2.Sonntag nach dem Christfest gehalten in der Alten Dorfkirche Zehlendorf am 5.Januar 2025
Lesungen: Jes. 61,1-3.10.11 und Lk. 2,41-52
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde,
heute am ersten Sonntag im neuen Jahr 2025 schauen wir nach vorn und es beschleichen uns ganz unterschiedliche Gefühle. Ja, es könnte Hoffnung geben, denn immer mehr Menschen stehen auf der Seite für Frieden, wünschen sich diesen nicht nur, sondern sind bereit, auch zu handeln im privaten Leben, in der Gesellschaft, in der Politik. Und dann wird uns ganz mulmig, wenn wir in bestimmte Regionen der Welt schauen oder auch auf die Wahlen bei uns. Wie wird es weiter gehen? Werden radikale Ideen die Oberhand bekommen? Werden die Krisen möglicherweise größer? Kann es an einzelnen Stellen noch eskalieren?
Wir haben heute als erste Lesung Worte aus dem Propheten Jesaja gehört, genauer gesagt ist es der dritte Jesaja, der hier spricht vor circa 2500 Jahren. Er stand in seiner Zeit vor einem Neubeginn. Der erste Jesaja sieht die Katastrophe der babylonischen Eroberung und Zerstörung des Landes Israel und spricht seine Klage aus. Der zweite Jesaja spricht in die Zeit der Gefangenschaft, in der das Volk in der Fremde leben muss und nicht weiß, was die Zukunft bringen wird. Allein ihr Glaube an den einen Gott ist das Band zu dem, was einmal war. Und der dritte Jesaja erlebt nun eine neue Zeit. Das babylonische Reich gibt es nicht mehr. Die Perser haben die Macht übernommen und sie erlauben, dass die Israeliten wieder in ihre Heimat ziehen können. Wie mag den Menschen damals eine solche Entscheidung vorgekommen sein? Ein Gesalbter, ein König von Gott gesandt, bringt ihnen die Rettung. Ist hier vielleicht sogar der persische König als von Gott gesandt gemeint? Er macht es jedenfalls möglich, dass die Gefangenen freigelassen werden, dass die Vergeltung für Unrecht allein bei Gott liegt und nicht in Menschenhand, dass Trauernde sich nicht mehr in Asche hüllen, sondern sich mit Freudenöl einreiben und Loblieder singen. Die Menschen werden den Mantel der Gerechtigkeit tragen bereit für einen neuen Lebensabschnitt wie eine Braut oder ein Bräutigam. Und dieser Jesaja wagt einen ganz weiten Blick, seine Hoffnung ist so groß, dass er diesen Zustand für alle Menschen sieht. Nicht das Volk Israel ist gemein, sondern alle, auch die, die heute noch nicht mit dem einen Gott Israels verbunden sind.
Und dann hörten wir im Evangelium von Jesus, wie er als gläubiger Jude mit seinen Eltern in den Tempel von Jerusalem gegangen ist. Wir hörten von seinem besonderen Verständnis der heiligen Schriften, dem Tanach. Er spricht mit den Schriftgelehrten und sie sind verwundert von seiner Gabe, die Schrift zu verstehen und zu interpretieren. Er ist ja erst 12 Jahre alt. Möglicherweise gab es damals schon ein besonderes Ritual, bei dem die Jungen in die Gemeinschaft der Glaubenden als Erwachsene aufgenommen wurden. Heute ist es die Bar oder Bath Mizwah. Die Jungen und Mädchen müssen bis heute einen Text aus dem Tanach vorlesen oder besser gesagt singen und eine Erklärung dazu vortragen. Wichtig ist an dieser Stelle, dass wir davon ausgehen können, dass Jesus die Jesaja-Stelle, die wir gehört haben, kannte. Die frühen Christen haben Jesus in der Verbindung zu dem Gesalbten aus dem dritten Jesaja-Buch verstanden. Lukas berichtet im Kapitel 4 des Evangeliums, dass Jesus die ersten Verse in einer Rede in Nazareth interpretiert und auf sich bezieht. Er verkündet das Gnadenjahr des Herrn und die Leute sind verwundert. Die Reaktion ein paar Verse später zeigt, dass sie ihm nicht glauben, ja dass sie ihn sogar töten wollen. Wie sollte das gehen, wie kann die Gnade Gottes Frieden und Gerechtigkeit wirken, wenn die Römer das Land besetzen, Krieg herrscht, Menschen schmerzliches Unrecht erleiden und keine Veränderung in Sicht ist?
Liebe Gemeinde, wir stehen am Jahresbeginn von 2025 wahrscheinlich ähnlich zweifelnd da wie Jesaja in seiner Zeit oder die Menschen, die Jesus hörten? Bei allem Zweifel merke ich aber die Kraft, die in diesen Worten liegt. Ja, es wird sich verändern hin zu Frieden und Gerechtigkeit, so klingt die Zusage. Nicht Trauer, Unsicherheit und Angst werden das Lebensgefühl bestimmen, sondern Freude und Freiheit. Diese Vision rührt mich bis heute an. Ihre Kraft spüre ich noch immer und ich merke die Sehnsucht, die in mir entsteht.
Nun müssen wir uns deutlich machen, dass wir 2000 Jahre später ganz andere Lebensverhältnisse haben. Die Menschen haben gelernt und Abkommen geschlossen, die Frieden sicherer macht. Wir haben Menschenrechte, die eine Norm für alle Menschen setzt, die Orientierung bietet und auf die sich jeder einzelne beziehen kann. Durch die Klimakatastrophe gibt es auch eine Veränderung im Bewusstsein, dass die Menschen in der ganzen Welt zusammen an den Problemen arbeiten müssen. Keiner schafft es allein. Es geht nur zusammen. All diese Veränderungen dürfen wir nicht übersehen. Und doch merken wir, dass es an vielen Stelle nicht klappt und wir weit hinter Frieden und Gerechtigkeit zurückbleiben. Umso wichtiger ist es, eine Vision zu haben, die eine erstrebenswerte Zukunft aufzeigt. Und Jesaja scheint mir da sehr aktuell zu sein.
Doch es bleibt die Frage, wie können wir eine solche Vision erreichen? Jesaja bietet uns die Idee an, dass einer von Gott gesandt wird, der es als König dann für viele umsetzt. Jesus nimmt diese Idee auf, obwohl schon damals die Regierenden nicht gut wegkamen. Und wenn wir heute auf einzelne führende Persönlichkeiten schauen, dann wird deutlich, dass sie wenig Vertrauen vermitteln. Sind sie doch eher auf ihren eigenen Vorteil, die eigene Macht und ihr Geld bedacht als auf die Gemeinschaft aller Menschen, wie Jesaja sie vorschwebt. Ich denke, heute brauchen wir keine einzelnen Menschen, die allein sagen, wo es lang geht, sondern wir brauchen viele, die mitmachen. Und die bisherigen Schritte haben uns gezeigt, dass es gut ist, miteinander zu reden, Abkommen zu schließen, Handel zu treiben, Verbindungen zu knüpfen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Doch all diese Verbindungen können sehr leicht zerbrechen oder auch missbraucht werden, wenn Menschen nur mit dem Verstand diese Beziehungen knüpfen – aus der Vernunft heraus. Ich denke, der Verstand ist kalt, wenn er nicht fühlt, was seine Regeln machen. Gerechtigkeit kann allein durch den Verstand nicht entstehen, wenn das Fühlen, ich würde sagen die Ebene des Herzens, nicht dabei ist. Der Verstand vergisst sehr schnell, dass es bei allem, was wir im Großen und im Kleinen denken, sagen und tun, immer Menschen betroffen sind; Menschen, die neben uns leben, die ihren ganz eigenen Weg gehen; Menschen, die ihre Geschichte haben, ihre Gefühle, ihre Gedanken.
Liebe Gemeinde, ich möchte sie einladen am Beginn dieses Kalenderjahres, bei allen Begegnungen mit anderen Menschen nicht nur zu denken und die Einordnungen des Verstandes gelten zu lassen, sondern die Verbindung zu dem Nächsten im Herzen zu spüren. Berührt mich der andere Mensch, dem ich begegne, innerlich oder lässt er mich kalt? Und warum ist das so? Bin ich gerade nur mit mir beschäftigt? Habe ich gar keinen Raum, kein Gefühl für ihn? Hat mein Verstand eine Erklärung gefunden, warum ich zu dem anderen kein Gefühl entwickeln kann oder soll? Was kann ich tun damit es möglich wird? Kann ich mitwirken an dem Netz der Herzverbindungen? Kann ich ein Teil sein und mittun an einer Welt, die sich verändert zum Guten?
Die Regeln des Verstandes sind oft gut und hilfreich, doch dürfen sie uns nicht kalt werden lassen in Wahrnehmung und Begegnung mit anderen Menschen. Frieden und Gerechtigkeit sind möglich, wenn Menschen mit Verstand und Herz aufeinander zugehen. Und so merken wir, wir sind ein Teil des Ganzen. Es kommt auf uns an. In einer Demokratie brauchen wir nicht die einzelnen Macher, die Berufenen, sondern die vielen, die mitdenken und auch mitfühlen. Lassen sie uns diesen Weg der Hoffnung in den Blick nehmen, damit wir neue Schritte finden. Ich kann ihnen nicht sagen, wie es weitergehen wird in diesem Jahr. Wir müssen es gemeinsam herausfinden, indem wir diese Vision des Friedens und der Gerechtigkeit bewegen und uns gegenseitig als Menschen spüren. Oh, wie viel Gnade Gottes würde in diesem Jahr geschehen, wenn wir uns diese Freiheit schenken würden.
Dazu gebe uns Gott Weisheit, Mut und die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit im Herzen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.