Rogate – Betet
Predigt gehalten am 25.Mai 2025 in der Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf
Lesungen: Jesus Sirach 35,16-22a, Mk. 14,32-38
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde,
am Sonntag Rogate werden wir an das Gebet, an das Beten erinnert. Nach Ostern werden wir gefragt, wie wir unseren Glauben an die Auferstehung, unseren Glauben, dass Gottes Gegenwart über den Tod hinaus reicht, ausdrücken. Hat dieser Glaube Folgen für den Alltag? Verändert er das Leben? Bietet er einen Weg, das Sterben anzunehmen, um ein erfülltes Leben zu gestalten?
Mit dem Gebet werden wir an eine Praxis für alle Tage erinnert, die in vielfältiger Weise Gestalt annehmen und auch unterschiedlich verstanden werden kann. Sachlich betrachtet, ist ein Gebet die Zuwendung an eine über den Menschen hinaus reichende Wirklichkeit. Sie kann mit Worten oder ohne geschehen und dient dem Dank, der Bitte oder der Klage. Oft finden Menschen eine Form dieser Zuwendung erst, wenn sie in Not geraten – Not lehrt beten. Oft als verzweifelter Schrei in einer scheinbaren Aussichtslosigkeit. Gott wird dann zum Notanker, zum Gebetserfüller meiner Anliegen. Nicht selten bleibt Enttäuschung zurück, wenn es dann nicht so geworden ist, wie ich es mir gedacht hatte. Und so wird damit schon eine Besonderheit des Betens deutlich. Wir haben es mit einer anderen Wirklichkeit zu tun, auf die es sich gilt einzulassen. Der Betende schwingt sich also auf eine Ebene ein, die nicht alltäglich ist, auf Wege, die nicht gewohnheitsmäßig ablaufen. Beten bedeutet, das Unerwartete zu erwarten, das Nicht-Gedachte zu denken; oder auch dem Wunder eine Chance zu geben.
Im Evangelium haben wir die Geschichte von Jesus gehört, wie er im Garten Gethsemane betet, mit sich und mit Gott ringt. Am Ende kommt er zu der Haltung: Dein Wille, Gott, geschehe. Klar ist hier, das Gebet ist nicht ein Notschrei Jesu, sondern der Ausdruck eines glaubenden Menschen, der zu einer Entscheidung finden will und muss. Er kommt uns als Mensch in diesen Schilderungen sehr nah. Er ist verzweifelt, ist am Suchen, ist unsicher, ist auf dem Weg, in Bewegung. Und am Ende steht eine Aussage und der nächste Schritt. Wir wissen, wohin er geht, wir wissen, wie die Geschichte weitergeht. Aus dem Garten Gethsemane hätte Jesus noch fliehen können in den Untergrund, sich verstecken. Im Gebet kommt er zu der Übereinkunft mit Gott, dass er bleibt und Gottes Wille geschehe. Unerwartet, unvorstellbar. Es ist ein Weg, der wirklich ein Wunder braucht.
Deutlich wird uns, dass die Entscheidung Jesu in dieser Extremsituation nicht auf einem ungeübten Boden wächst. Immer wieder wird er das Gespräch mit Gott als gläubiger Jude gesucht haben. Bekannt ist, dass Jesus den Garten Gethsemane immer wieder aufgesucht hat, wenn er in Jerusalem war. Gethsemane liegt außerhalb der Stadtmauer und doch ganz nah mit Blick auf den Tempelberg, dem Haus Gottes. In Gottes Nähe zu bleiben ist einerseits einfach, denn wir müssen sie eigentlich nur zulassen. Auf der anderen Seite brauchen wir so etwas wie ein Einüben, denn diese Gegenwart unterscheidet sich von unserer gewohnten Perspektive.
So sind wir eingeladen, an jedem Tag Zeit zu finden für diese Veränderung der Wirklichkeit, damit wir ein Gespür entwickeln können, was dieses Andere sein kann in dieser Welt, in unserem Leben.
Liebe Gemeinde, lassen sie uns nun schauen, was im Gebet geschieht. Das Aussprechen der Freuden, Sorgen und Nöte, die uns bewegen, belasten, uns nachts nicht schlafen lassen, unser Denken in immer die gleiche Richtung lenken, hilft, dass wir einen Abstand zu ihnen bekommen. Spreche ich die Sorge aus, dann ist sie nicht mehr nur in mir, sondern ich habe sie geteilt mit einem Gegenüber. Wir Christen denken Gott so groß, dass er als Schöpfer der Welt gleichzeitig auch ein persönliches Gegenüber sein kann, so wie Jesus es uns gezeigt hat. Ein Begleiter, ein Berater, ein Freund oder eine Freundin, ein Vater oder eine Mutter. Für manche Menschen reicht dieses Aussprechen schon aus, um in einer veränderten Haltung durch die Welt zu gehen. Vielleicht ist dieses Aussprechen der erste Schritt, um die Verwicklungen in unserem Leben aufzulösen oder Wege aus der Verwirrung zu finden. Ehrlich gesagt, ist das Gebet keine theoretische Abhandlung, sondern eine praktische Erfahrung. Wir müssen es selbst ausprobieren und unseren eigenen Weg finden. Traditionelle Formulierungen, wie Psalmen, Vater unser oder poetische Worte anderer können helfen, den Einstieg zu wagen. Aber wir sollten uns klar machen, dass es keine richtigen und falschen Worte gibt. Es gibt auch keine Orte, die besonders geeignet sind. Manche finden einen heiligen Raum hilfreich, anderen fehlen dort die Worte und sie finden sie eher bei einem Spaziergang durch die Natur oder in der Abgeschiedenheit. Wieder andere brauchen die Gemeinschaft oder ein Instrument, die Stimme oder die Bewegung. Beim Beten geht es um das Einschwingen auf diese größere, die göttliche Wirklichkeit, um das eigene Leben mit seinen Zusammenhängen dort in einem anderen Licht zu erkennen. Das Beispiel von Jesus zeigt uns, dass die Welt nicht verschwindet und alles schön wird, wenn wir beten. Veränderung kann sehr verschieden und auch herausfordernd sein und möglicherweise ganz anders. In Zeiten des Internets fragen wir gern in den Suchmaschinen nach Lösungen für unsere Probleme. Es ist sehr überraschend, was wir dort manchmal finden können. Aber es wird nicht etwas ganz anderes sein, denn es ist immer von Menschen erdacht und aufgeschrieben. Das Gebet ist ein anderes Netz, das sich auftut und Leben neu und anders beleuchtet. Wir sind eingeladen zu dieser Erfahrung. Lassen sie uns dieses ausprobieren und unseren Weg finden.
Liebe Gemeinde, ich möchte sie im Zusammenhang mit dem Gebet noch auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Wenn wir Zusammenhänge unseres Lebens im Gebet formulieren, ob laut oder leise, entsteht gleichzeitig ein Suchbewegung unserer Gedanken. Wir sprechen aus, zweifeln, drehen die Sachverhalte hin und her, treffen Entscheidungen, verwerfen sie wieder. Es ist wie ein Gespräch mit uns selbst. Diese Bewegung löst die Starre, die durch Sorgen und Nöte entstehen können. Es ist eine Starre, die uns handlungsunfähig macht und durch die wir uns ausgeliefert fühlen. Viele haben das Gefühl in dieser Welt nichts machen zu können, Spielball der anderen zu sein oder den Umständen zu erliegen. Das Gebet mit seiner Bewegung gibt uns die Möglichkeit, diese Hilflosigkeit zu überwinden. Im Gebet werden wir aktiv und kreieren eine Welt, die wir uns wünschen, eine Welt, die eine Alternative zu den Problemen der Zeit darstellt. Und so entsteht eine Perspektive und die Enge wird aufgelöst. Das Gebet ist somit eine Ostererfahrung, die wir jeden Tag machen können. Die Starre kann sich lösen, neues Leben wird möglich. Leben kann entstehen. Der Tod hat nicht das letzte Wort.
Liebe Gemeinde, der Sonntag Rogate erinnert uns an diese große und veränderte Hoffnungswirklichkeit von Ostern. Und wir sind eingeladen, unsere Erfahrungen zu machen. Finden wir unsere Art und Weise, uns einzuschwingen und finden wir unsere Worte, unsere Bilder, die unser Leben hineingleiten lassen in eine Veränderung, die ganz anders ist und uns in die Hoffnungsgemeinschaft der Auferstehung hineinnimmt. Möge Gott uns begleiten, unsere Bewegung umfangen mit seiner Gegenwart und unser Inneres öffnen für eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.