Predigten

2.Sonntag nach Trinitatis – Zusammengehörigkeit

Predigt zu Lk. 14,16-24 und Dtn. 6,4-7 gehalten in der Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf am 9. Juni 2024

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

vor zwei Wochen feierten wir das Trinitatisfest – die Dreieinigkeit Gottes. Die Denker der ersten Jahrhunderte haben mit dieser Konstruktion versucht, das Geheimnis Gottes zu wahren und gleichzeitig darüber zu sprechen, konkret und auf die Welt bezogen. In den Wochen danach werden nun für einzelne Bereiche des Lebens die Gegenwart des Geheimnisses Gottes in den Blick genommen. Wie sie beim Wochenspruch und dem Evangelium hören konnten, geht es am 2.Sonntag nach Trinitatis um die Gemeinschaft, für die Gott uns Menschen geschaffen hat. Die frühen Christen haben in dem Bild des Evangeliums eine Zusage gesehen, dass die Zeit der Gottes Herrschaft auf der Erde nun anbrechen wird. Die, die an den Rändern stehen sind nun mit am Tisch, sie gehören dazu, sie sind gemeint. Der Zustand unserer Welt wird überwunden, was die damalige Gesellschaft vom Status her festgeschrieben hatte. Wer nicht dazu gehörte war draußen. Doch die Christen sahen es anders und verkündeten, die Gleichheit aller vor Gott. Eine Revolution – fragte diese Botschaft doch die römische Gesellschaft und ihre Rangordnung an.

Heute im Jahr 2024 höre ich den Text mit den Erfahrungen dieser Zeit, mit den Herausforderungen, die wir haben und mit einem Bild von Gesellschaft und Glauben, das nicht mehr das der frühen Christen ist. Was das Christentum damals verkündete, ist in unserer Gesellschaft und in anderen Gemeinschaften zu einer häufig gelebten Wirklichkeit geworden. Immer wieder können wir lernen an Problemen und Krisen, dass wir unser Leben nicht für uns selbst gestalten können. Wir gehören als Menschheit zusammen. Und wenn wir auf die Klimakrise schauen, dann wird deutlich, dass wir nur als Menschheit dieses Problem lösen können. Es reicht nicht aus, wenn einzelne verstehen, dass sie ein Teil dieser Welt sind. Nein, es gilt für alle. Und so ist es notwendig und wichtig, dass wir uns in diese Richtung bewegen und verstehen, wie es gehen kann.

Liebe Gemeinde, da ich andere Ideen in unserem Gleichnis vom Abendmahl sehe, habe ich ihnen einen biblischen Text herausgesucht, der nicht vorgeschlagen ist für diesen Sonntag, um die beiden ins Gespräch zu bringen. In der ersten Lesung hörten sie das „Schema Jisroel …“ – das „Höre Israel …“ – das Glaubensbekenntnis des Judentums. Dort heißt es: „Höre Israel, der Herr, ist unser Gott der Herr ist einer.“ Wir haben es uns angewöhnt bei Aussagen über Gott, die Beschreibung eines anderen Wesens zu verstehen. Ich möchte sie einladen, in der Beschreibung des Göttlichen eine Beschreibung unserer Wirklichkeit zu entdecken. In der Übersetzung klingt es dann so: „Höre Israel, der Herr, ist unser Gott, der Herr ist eins.“ Ein Buchstabe ist anders und schon hat sich das Verstehen gewandelt. Diese göttliche Schöpfung ist eins. Alles gehört zusammen. Alles ist im Göttlichen aufeinander bezogen und bildet ein Ganzes. Alles, was wir erleben und in unserem Wertesystem beurteilen, gehört zusammen – seien es gute oder schlechte Erfahrungen. Im Göttlichen gehören sie zusammen, sind aufeinander bezogen und heben sich heraus aus unseren emotionalen Beurteilungen.

Bringen wir diese Idee mit dem Gleichnis von der Einladung zum Abendmahl ins Gespräch, dann öffnet sich das Bild für andere Ebenen. Was damals eine exklusive christliche Botschaft war, hat heute eine Lebendigkeit an vielen Stellen der Welt. Wir können die Barmherzigkeit gegenüber anderen Menschen, die Zedaka – im Judentum erkennen. Im Islam ist eine der Säulen des Glaubens die barmherzige Unterstützung der Mitmenschen. Die Buddhisten haben eine Meditation, in der alle Wesen mit einbezogen werden. Und die Upanischaden im Hinduismus lehren, dass kein Glaubender einem anderen Wesen Leid zufügen soll. Das Göttliche lädt uns Menschen an einen Tisch in eine Gemeinschaft, um dieses fürsorgliche Miteinander zu leben und für die Gemeinschaft aller zu gestalten. Ob wir uns entschuldigen, und Wichtigeres zu tun haben, müssen wir selbst entscheiden. Die Einladung besteht jedenfalls. Und sie besteht trotz oder wegen der Vielfalt der verschiedenen Wege.

Liebe Gemeinde, lassen sie uns noch einmal auf das Bild des gemeinsamen Sitzens an einem Tisch schauen. Sie kennen das sicher von Feiern an einer langen Tafel. Oft sitzt man die ganze Zeit an einem Platz und nimmt nur die direkten Nachbarn wahr. Am Ende bedauert man es, dass die Gespräche sich möglicherweise um bestimmte Themen gedreht haben und man so die anderen Gäste am Tisch gar nicht wahrgenommen hat.

Dieses Bild hat mich an den Philosophen und Soziologen Ludwig Wittgenstein erinnert. Er sprach davon, dass wir Menschen aus unserer eigenen Perspektive heraus die anderen mit ihren Sichtweisen kaum oder gar nicht wahrnehmen können. Er spricht von einer Aspektblindheit. Sie können dieses Phänomen in den Debatten dieser Zeit beobachten. Krieg und Frieden ist momentan in aller Munde. Schnell sucht man sich die Argumente zusammen, die zu der eigenen Position passen, stellt sich auf eine bestimmte Seite und es kann losgehen. Aus meiner Sicht habe ich Recht, stehe dazu und verkünde meine Wahrheit auch laufstark als die ultimative Sichtweise. Wer, wenn nicht ich, kennt den richtigen Weg. Aspektblindheit. In den Debatten der heutigen Zeit ist sie sehr weit verbreitet und an vielen Stellen als Kampfmittel eingesetzt.

Liebe Gemeinde, schauen wir noch einmal auf das Bild der gemeinsamen Tafel. Wir haben festgestellt, dass es gut wäre bei einem solchen Fest, aufzustehen, durch den Raum zu gehen, um andere zu treffen. Die Wahrnehmung weitet sich und wir können andere Welten sehen. Es ist die erste Möglichkeit, etwas gegen unsere Blindheit für den kleinen Ausschnitt unserer Welt zu tun. Das Fest wird lebendig, wenn wir unsere eigene Lebendigkeit zu lassen und umsetzen. Es wäre vielleicht auch eine Idee nicht nur durch den Raum zu laufen, sondern auch einmal auf den Tisch zu steigen, um den Überblick zu gewinnen. Wir haben uns angewöhnt zu denken, dass alles immer so sein muss, wie es schon immer war. Aber die Welt verändert sich. Die Menschen – ja auch wir – verändern sich. Diese Lebendigkeit und Vielfalt ist ein Ausdruck des Lebens. Zu diesem Fest sind wir vom Göttlichen eingeladen.

Liebe Gemeinde, diese Bilder klingen spielerisch und vielleicht in unserer Fantasie auch amüsant. Doch sie machen deutlich, welchen Weg wir Menschen in Deutschland, in Europa und in der Welt gehen sollten. Die Fragen zur Zukunft sind groß, die Probleme scheinen mittlerweile unlösbar. Und doch sind wir eingeladen, einen gemeinsamen Weg zu finden. Als erstes sollten wir die Einladung annehmen. Irgendwann kann es vielleicht ein Zuspät geben. Wir wissen es nicht. Und dann wäre es sehr hilfreich, wenn wir in unserer Verschiedenheit, die Gemeinsamkeiten entdecken. Immerhin sitzen wir an einem gemeinsamen Tisch. Bewegen wir uns also auch durch einen gemeinsamen Raum und entdecken wir die anderen. Wir haben uns in unserer Freizeit das Reisen durch die Welt angewöhnt. Der Sommer steht vor der Tür und damit auch die Urlaubszeit. Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Nutzen wir diese besonderen Voraussetzungen, die wir haben, um nicht nur Erholung für uns selbst zu finden und unseren privaten Wissensdurst zu stillen, sondern verstehen wir uns als Teil der Menschengemeinschaft, als Botschafter dieser einen Welt. Hören wir auf die Vielfalt der anderen, lernen wir die Gemeinsamkeiten und finden wir Wege, die keiner bisher gegangen ist. Zukunft ist neu und anders. Wiederholen wir nicht einfach die Vergangenheit. Dazu möge uns die Gegenwart des Göttlichen an der Seite stehen.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn. Amen.